Von Rehen, Hirschen und Elchen...

Seit einer Stunde ist seine Mutter nun schon weg. Sie hat das kleine Rehkitz zurückgelassen und sich auf die Suche nach nahrhaften Kräutern, Gräsern, Knospen, Blättern und Trieben gemacht. Schließlich benötigt sie jetzt viel Energie. Ihr Junges verlangt nach Milch, denn es will wachsen!

 

Still und unbeweglich verharrt das nur wenige Tage alte Rehkitz an seinem Platz im hohen Gras der Waldlichtung. Hier fühlt es sich sicher und geborgen. Sein braunes Fell mit den weißen Flecken ist eine gute Tarnung. Es hat auch keinen eigenen Körpergeruch, der hungrige Raubtiere wie Fuchs, Wolf oder Luchs anlocken könnte. Und das Junge weiß: die Mutter ist niemals weit weg und sie kehrt bald zurück!

 

Doch jetzt ist es beunruhigt. Irgendetwas stimmt nicht. Etwas nähert sich seinem Versteck. Etwas, was das kleine Rehkitz bisher noch nie gerochen hat. Ein Rascheln, ein Tapsen von leisen Pfoten nähert sich, entfernt sich wieder, und ist dann nur noch wenige Sprünge entfernt. Was ist das? Gefahr? Instinktiv ist das Kleine gewarnt und duckt sich noch tiefer an den Boden. Keinen Laut gibt es von sich.

 

Und da taucht sie auf! Eine rotbraune Füchsin schnürt durch das hohe Gras, sie ist auf Jagd! Die feine Nase hält sie dicht am Boden. Mäusegeruch – ja, der käme ihr jetzt gerade recht! Dann hält sie inne, reckt die Nase hoch, wittert. Noch hat sie das kleine Rehkitz nicht entdeckt. Dann – ein Rascheln im nahen Gebüsch! Mit zwei lautlosen Sätzen ist die Füchsin dort, doch nicht zu nahe! Anschleichen, das kann sie gut! Langsam, Schritt für Schritt nähert sie sich der Stelle, bis ein erneutes Rascheln sie erstarren lässt. Jetzt nur nicht bewegen! Still verharrt die kluge Füchsin vor dem Mauseloch. Sie will jetzt keinen Fehler machen, denn im Wald am Fuchsbau warten vier junge hungrige Fuchswelpen auf Nahrung. Und sie haben großen Hunger! Dann plötzlich ein Satz, ein kurzes Fiepen – und hocherhobenen Hauptes trabt die Füchsin mit ihrer Beute im Maul zurück zum Fuchsbau. Unser Kitz aber hat Glück gehabt!

 

Nun liegt es bald wieder entpannt im Gras und lässt sich von der warmen Maisonne wärmen. Noch einmal zuckt es kurz zusammen, als ein Greifvogel nahe über ihm seine Kreise zieht. Auch er könnte ihm gefährlich werden! Doch dann erklingen vertraute Schritte gedämpft im hohen Gras. Und sofort nimmt es den vertrauten Geruch wahr. Es ist die Mutter! Sanft beschnuppert sie ihr Junges und leckt es zur Begrüßung mit ihrer warmen Zunge. Und dann endlich darf es sich satttrinken!

(C) R. Jähne: Rothirsch
(C) R. Jähne: Rothirsch

Das ist ja noch mal gutgegangen – zumindest für unser kleines Rehkitz!

 

Übrigens: Hallo Ihr Lieben – wir sind mit Euch schon wieder mittendrin im Thema der Woche! Wie versprochen geht es nämlich dieses Mal um Hirsche, besonders um ihre kleinste Art, die Rehe.

 

Ja, auch Rehe gehören zur Familie der Hirsche, am nächsten verwandt sind sie sogar mit den Elchen. Da staunt ihr, was? Elche waren auch lange Zeit bei uns heimisch, bis sie vor allem durch zu starke Bejagung schließlich nach Nord und Osteuropa verdrängt wurden. Aber genau von dort, zum Beispiel aus Polen kehren einzelne Tiere allmählich nach Deutschland zurück. Vor allem im Osten unseres Landes finden sie Lebensräume vor, in denen sie sich wohlfühlen: große Wälder, vor allem Moorwälder, Sumpfgebiete, Flussauen und Feuchtwiesen. In Brandenburg zum Beispiel sind die Landschaften auch nicht so dicht besiedelt und es ist genug Platz für die großen Tiere. Wir fänden es toll, wenn sich Elche wieder bei uns ansiedeln würden – ihr auch? Sie sind mit einer Schulterhöhe von bis zu 2m und einem Gewicht von bis zu 800 kg die wahren Riesen unter den Hirschen. Allein das schaufelartige Geweih der Elchbullen (das sind die Männchen) kann bis zu 25kg wiegen! Das ist etwas mehr als zwei 10l Wassereimer voll mit Wasser. Hebt doch einmal nur einen solchen Eimer mit beiden Händen an, dann wißt ihr, wieviel eine Geweihschaufel wiegt. Bei allen Hirscharten tragen übrigens nur die Männchen Geweihe. Sie werden in jedem Frühjahr abgeworfen (bei den Rehen schon im späten Herbst) und ein neues wächst nach. Dem Rothirsch zum Beispiel wächst in nur fünf Monaten ein 15 kg schweres Geweih nach – erstaunlich, was?!

(C) R. Jähne: Damhirsch
(C) R. Jähne: Damhirsch

Wenn die Brunftzeit (Paarungszeit) gekommen ist, werden die Männchen ihre Kräfte gegeneinander einsetzen und um die Weibchen kämpfen. Dabei setzen sie ihre Geweihe ein, dass es nur so kracht! Schwere Verletzungen gibt es dabei aber zum Glück meist nicht.

 

Aber nicht nur bei der Größe der Geweihe unterscheiden sich die einzelnen Hirscharten.

 

Unsere anderen Hirscharten sind auch deutlich kleiner als der Elch: der Rothirsch zum Beispiel bringt immer noch etwa 200 kg auf die Waage, der Damhirsch wird etwa 80kg schwer (die Männchen sind schwerer als die Weibchen) Unsere kleinste Hirschart, das Reh wiegt dann nur noch so viel wie ein großer Hund – höchstens bis zu 30kg. Auch mit einer Schulterhöhe von 65-75cm sähe es neben dem Elch eher wie ein Winzling aus!

(C) R. Jähne
(C) R. Jähne

Auch die Lebensweise der Rehe unterscheidet sich von denen anderer Hirsche. Rehe sind, ähnlich wie Elche, eher Einzelgänger. Während die anderen – Rothirsche, Damhirsche und Sikahirsche – sich in Herden (Gruppen) wohlfühlen, kommen Rehe nur im Winter zu kleinen Gruppen zusammen.

Anders als bei den anderen Arten, deren Paarungszeit im frühen Herbst ist, finden Rehbock (das Männchen) und Ricke (das Weibchen) bereits im Sommer zueinander. Nach der Paarung trennen sich die beiden wieder. 

 

Etwa im Mai wird die Ricke meist ein oder zwei Kitze zur Welt bringen. Ihre Tragzeit (so nennt man die Zeit der Schwangerschaft bei den Tieren) dauert also etwa von Juli/August bis Mai – nicht ganz vielleicht, denn bei den Rehen hat sich die Natur einen besonderen Trick ausgedacht: die Keimruhe! Zunächst ruht nämlich das befruchtete Ei im Mutterleib. Erst im Winter beginnt das Embryo zu wachsen. Im späten Frühling wird dann das kleine Kitz geboren. Anfangs hat es viele helle Tupfen in seinem hellbraunen Fell – damit ist es gut getarnt, wenn es im hohen Gras oder im Gebüsch liegt. Anders als die Hirschkälber (so nennt man die Kinder der größeren Hirsche) folgt das kleine Rehkitz in den ersten Tagen auch der Mutter nicht, wenn diese zum Beispiel fressen geht. Mutter Reh hat ein sicheres Versteck für ihr Kitz ausgewählt, wo sie es in den ersten Wochen zurücklassen kann, wenn sie hungrig ist. Dabei entfernt sie sich aber nie zu weit von ihm. Und weil das Kitz auch keinen eigenen Körpergeruch hat, wird es auch nicht so schnell von Raubtieren aufgespürt. Jetzt denkt ihr vielleicht: na, dann besteht ja keine Gefahr? Leider doch! Denn an eines kann die Rehmutter nicht denken: daran, dass zum Beispiel Menschen mit großen Maschinen kommen. Und dass sie mit diesen Maschinen das hohe Gras abmähen wollen, um Heu für ihre Tiere zu machen. Das Kitz ist im hohen Gras verborgen und es wird nicht weglaufen, wenn das Mähwerk näher kommt, denn sein Instinkt sagt ihm ja: bleib liegen, duck dich fest an den Boden, dann geschieht dir nichts! Wenn der Fahrer das Kitz nicht rechtzeitig bemerkt, ist es verloren!

 

Leider sterben jedes Jahr viele Kitze auf diese Weise! Zum Glück geben sich einige Bauern Mühe, das zu verhindern. Oft hilft es schon viel, wenn die Wiese am Tag vor dem Mähen durchsucht wird, oder es können Gegenstände (zum Beispiel flatternde Plastikplanen) in der Wiese aufgestellt werden, die die Tiere vertreiben. Die Ricke ist dann alarmiert, und hat Gelegenheit, ihr Kitz an einen anderen Ort in Sicherheit zu bringen. Bei solchen Aktionen arbeiten Bauern, Jäger mit ausgebildeten Hunden, Naturschützer und andere freiwillige Helfer oft gut zusammen. Es gibt zum Beispiel auch schon tolle (aber leider immer noch recht teure) Techniken, die helfen, Kitze und andere im Gras verborgene Tiere (zum Beispiel auch Junghasen oder Nester junger Vögel) aufzuspüren. Das geht zum Beispiel mithilfe von fliegenden Multikoptern (Drohnen), die mit Wärmebildkameras ausgestattet sind. Wichtig ist aber auch, dass beim Mähen langsamer gefahren wird (die großen modernen Maschinen fahren oft zu schnell und haben sehr breite Mähwerke, so dass die Tiere auch kaum entkommen können). Auch ist es wichtig, dass die Wiesen von innen nach aussen gemäht werden, damit die Tiere besser fliehen können.

 

Es wäre gut, wenn das alle Landwirte tun würden, damit möglichst viele Kitze gerettet werden können! Und sicher wäre es wichtig, dass sie auch Unterstützung dabei bekommen. Warum nicht einfach mal den Bauern bei Euch in der Nähe ansprechen und fragen, was der so tut, um die Tiere zu schützen? Ihr oder Eure Familie könntet ja auch vielleicht dann Eure Hilfe anbieten?

Und wenn ihr selbst mal ein Kitz entdecken solltet? Sicher würdet ihr Euch riesig freuen! Aber Vorsicht! Leider passiert es auch immer wieder, dass Menschen Kitzen zu nahe kommen, oder sie gar anfassen! Das solltet ihr niemals tun (ausser das Kitz ist in unmittelbarer Lebensgefahr)!!! Denn wenn die Rehmutter zurückkommt und das Kitz riecht nach „Mensch“ (und Rehe haben eine sehr feine Nase!), kann es passieren, das dieser Geruch ihr Angst macht, oder sie verwirrt (weil ihr Junges nun plötzlich so anders riecht). Der menschliche Geruch bedeutet Gefahr! Womöglich wird die Ricke ihr Kitz dann nicht mehr annehmen und zurücklassen. Das Kitz wäre ohne Mutter, ohne Schutz und würde bald verhungern.

 

Am besten lauft ihr aber erst gar nicht durch eine Wiese, wenn das Gras schon so hoch steht. So werden Tiere, wie Rehe, Hasen und am Boden brütende Vögel dort nicht gestört und die Landwirte freuen sich auch, weil wir ihnen das Gras nicht platttreten. Das lässt sich dann nämlich nicht mehr so gut mähen. Und schließlich brauchen die BäuerInnen das Heu (getrocknetes Gras nennt man Heu) ja als Futter für ihre Tiere! Wenn ihr Euren Hund dabei habt, solltet ihr ihn besonders in der Zeit der Kitze unbedingt anleinen (auch wenn ihr denkt, der tut anderen Tieren nichts) Und solltet ihr mal ein verletztes Rehkitz finden, sagt am besten dem bei Euch zuständigen Jäger bescheid. Oder ruft bei den Naturschutzverbänden oder auch beim Tierarzt an. Die wissen alle, was zu tun ist. Rehkitze kann man auch aufziehen, wenn sie keine Mutter mehr haben, oder so verletzt sind, dass sie Hilfe brauchen. Aber das sollte man Leuten überlassen, die sich auskennen. Denn einfach ist es nicht!

Wenn ihr Rehe oder Hirsche beobachten wollt: Gute Zeiten sind die frühen Morgenstunden oder die Zeit der Dämmerung. Hirsche sind ursprünglich nicht unbedingt nachtaktiv, doch haben sie sich in ihrer Lebensweise an den Menschen angepasst. Damit sie nicht gestört werden, gehen sie vor allem dann auf Nahrungssuche, wenn wir schlafen gehen! Trotzdem könnt ihr die Tiere aber auch zum Teil tagsüber beobachten (das ist je nach Hirschart auch etwas unterschiedlich). Waldränder und Lichtungen eignen sich gut, aber auch am Rand offener Felder und Wiesen habt ihr einen guten Beobachtungsplatz. Am ehesten werdet ihr dort warscheinlich Rehe beobachten können. Vielleicht habt ihr aber auch großes Glück und ein großes Rothirschrudel taucht aus dem Schatten des Waldes auf ? Und dann gilt wie immer: Geduldig sein und ruhig verhalten! Und wenn ihr mal kein großes Tier entdeckt, genießt einfach die schöne Stimmung in der Natur, lauscht dem Gesang der letzten Vögel, bevor auch sie verstummen. Dann beginnt es hier und da zu rascheln und zu wispern – wer weiß, wer da noch alles unterwegs ist? Ein Dachs? Ein Fuchs? Eine Fledermaus? Vielleicht streift ein Nachtfalter euer Gesicht? Vielleicht ruft in der Nähe ein Käuzchen? Oder viele kleine Glüwürmchen leuchten Euch aus der Dunkelheit entgegen (ab Juni!)? Spannend und schön ist es immer zur Dämmerung draußen in der Natur unterwegs zu sein!


Noch mehr Infos, Tierstimmen und eine Bastel-Idee

  • Wenn ihr mehr über die Lebensweise unserer Hirsche erfahren wollt (und da gäbe es noch vieles zu erzählen), schaut doch mal wieder beim NABU NRW vorbei. Die haben ein tolles Porträt über den König unserer Wälder, den Rothirsch!
  • Tierreporterin Anna vom Bayrischen Rundfunk hat einen spannenden Film über Hirsche und Rehe gemacht.
  • Hier könnt ihr Euch die Stimmen, zum Beispiel die Brunftlaute (Paarungsrufe) der Hirsche anhören. Vor allem die Rufe der Rothirsche hören sich imposant an.
  • Und hier noch eine Bastelidee! Baut doch eine schöne Waldlandschaft aus Naturmaterialien zu Euren selbsgebastelten Rehen!