Aus dem Leben eines Tierfilmers...

Alle Texte und Fotos von Robin Jähne

Meister Reinecke

(C) R. Jähne
(C) R. Jähne

Der kluge Fuchs macht sich das Leben gern leicht und zieht in alte Bauten vom Dachs ein. Beide tun sich nichts, leben oft friedlich nebeneinander. Einen Dachsbau hatte ich ins Auge gefasst, saß dort fast jeden Abend in den Stunden vor und nach Sonnenuntergang, bis die Kamera aus Lichtmangel nur noch schwarze Bilder produzierte.

 

Es war im April, als ich plötzlich ein junges Füchslein sah. Die Augen waren noch blau, die Schwanzspitze weiß. Also ziemlich jung. Ich saß ohne Deckung, einfach nur in grünen Klamotten auf einem Baumstumpf. Ganz vorsichtig drehte ich die Kamera in die richtige Richtung. Verdammt - ich musste mich zusammenreißen: Vor Aufregung fing ich an zu zittern - das tut dem Filmbild natürlich nicht gut. Und dann war da noch einer. Und noch einer. Schließlich tollten acht Jungfüchse ein paar Meter vor mir herum. Die Aufnahmen waren wundervoll.

 

Am nächsten Tag saß ich wieder auf meinem Baumstumpf. Ja, da war wieder ein Fuchs und ich voller Konzentration. Wenn man sich so voll auf Tiere konzentriert, die überall auftauchen könnten, dann sieht man manchmal Gespenster. Neben mir schien sich etwas zu bewegen. Nee, da war bestimmt nichts. Die Sinne waren einfach überreizt. Aber dann bewegte sich wieder was, und ganz, ganz vorsichtig drehte ich den Kopf. Da waren tatsächlich fünf junge Dachse vier Meter neben mir aus einem Loch gekommen. Und spielten in den letzten Sonnenstrahlen. Wahnsinn. Vorsichtig Kamera drehen. Nicht zittern. Der Druck auf den Auslöser. Welch ein Tag: Das Ergebnis war zwar nur ein Füchslein, aber jede Menge Dachsszenen.

 

Ein Jahr später war ich an der gleichen Stelle. Die Spuren waren eindeutig: Wieder gab es Fuchsnachwuchs. Und ich wusste auch, wo das Loch war. Wieder saß ich fast jeden Abend da. Nach vier Wochen wurde ich unruhig. Und als ich einen roten Schwanz hinter einem Gebüsch rausgucken sah, mißtrauisch. Nach sechs Wochen wechselte ich den Standort. Denn da war noch ein Loch, wo ich bisher kaum Aktivität feststellen konnte. Das lag aber unter einem umgestürzten Baum. Gewissermaßen der Hinterausgang. Und den benutzten die Jungfüchse in diesem Jahr. In den folgenden Tagen konnte ich vom neuen Standort wieder einige schöne Aufnahmen machen.

 

Jahre vergingen, ich hatte andere Protagonisten vor der Kamera. Doch da meldete sich ein guter Freund. „Wir haben hier junge Füchse, die torkeln so komisch rum. Ob es denen gut geht?“ Als ich daraufhin vor Ort war, stellte ich fest, dass es sich um keinen Bau, sondern um ein Rohr unter einem Feldweg handelte. Und ein Jagdhund steckte gerade seine Nase herein.

Mist, dachte ich, nun kommen hier erst einmal gar nichts heraus.

 

Am folgenden Tag war ich wieder vor Ort. Plötzlich waren sie da. Sieben Jungfüchse, die sich gerade die ersten Male aus dem Bau wagten. Noch ganz tappsig. Manchmal kippten sie einfach um. Und schliefen ein im Sonnenschein. Alles ganz normal bei ganz jungen Füchslein.

In den Jahren hatte sich auch die Technik weiter entwickelt. Ich hatte eine Spezialkamera so ausgerüstet, dass ich sie über 30 Meter fernsteuern konnte. So saß ich im Auto, vor den Blicken der Jungen verborgen. Und direkt vor der Kamera kamen die Füchse raus. Wieder einmal eine Sternstunde, welche mir Familie Reineke bescherte. Und dann wagte ich es doch mal: Ich legte mich vorsichtig auf den Bauch vor den Ausgang des Baues.

An der Kamera in meiner Hand hatte ich ein Weitwinkelobjektiv. Das bedeutet, dann man ganz nah dran sein muss, dafür ist die Perspektive aber auch so, als wäre der Zuschauer hautnah dabei. Das geht nur bei Tieren, die entweder jung und ohne schlechte Erfahrungen sind, oder solchen, die den Menschen bisher nicht als Feind kennen gelernt haben. Und ich hatte Glück. Die Jungen kamen so nah, dass ihr Fell meine Hand berührte. Welch ein Erlebnis.

 

Danach hielt ich mich wieder im Hintergrund, filmte aus der Distanz. Noch ein paarmal konnte ich die Familie beobachten. Und erleben, wie die kleinen Fellbündel tüchtig wuchsen. Irgendwann waren sie dann verschwunden - hoffentlich auf und davon, und nicht bei einer Jagd erlegt, dachte ich mir. Aber eines war klar: Auch wenn so ein Rotrock machmal ein Huhn mopst (ich hatte selbst Federvieh und hin und wieder kam auch bei mir ein hungriger Fuchs zu Besuch) - ich werde immer ein Fuchsfreund bleiben!

 


Die Tierfilmer-Krankheit

„Den Job möchte ich auch haben. Mal auf‘s Knöpfchen drücken und viel Geld verdienen“ - sowas bekommt man schon mal zu hören. Tierfilmer sein sei doch eher ein Hobby. Irgendwo rumsitzen und auf irgendwelche Viecher warten - das ist doch keine Arbeit.

 

Um es gleich vorweg zu nehmen: Reich wird man bei diesem Beruf nicht. Denn das meiste Geld muss einfach in neue Technik investiert werden. Sonst wird es wirklich zum Hobby. Denn vor allem auf dem Fernsehmarkt herrschen strenge Regeln, was die technische Qualität des Materials anbelangt. Was dann übrig bleibt, reicht noch nicht einmal für eine Yacht in der Karibik. Und wenn ich mal den Stundenlohn ausrechne, dann kämen einigen Leuten sicher die Tränen.

 

Aber darum geht es auch nicht - wie in fast allen künstlerischen Berufen. Ja, ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht, es ist aber auch eine Berufung. Ich bin Tierfilmer mit Leib und Seele, und das nicht nur acht Stunden am Tag!

Wer mich kennt, der hat sich schon daran gewöhnt. Eine Kamera ist immer in der Nähe. Und es kann passieren, dass ich abends beim gemütlichen Grillen aufspringe und wie ein gehetzer Eber die Runde verlasse, um schnell einen guten Aussichtspunkt für ein aufziehendes Gewitter zu suchen. Und Wanderungen mit Filmern sind ebensowenig empfehlenswert wie mit Fotografen. An jeder Blüte bleiben sie stehen, und halten sich dort manchmal in merkwürdigen Stellungen auf dem Boden liegend länger auf, um die perfekte Aufnahme zu bekommen.

 

Man hat einfach auch nie Feierabend. Und im Kopf rasen nachts ab und an die Gedanken, vor allem, wenn sich ein Problem auftut und ich nach einer Lösung suche. Beispielsweise wie ich noch eine zusätzliche Batterie an der Kamera anklemmen kann, wenn der Strom am Ende eines langen Kabels nicht ausreicht. Ich hatte über das Kabel nicht nur die Kamera gespeist, sondern auch einen kleinen Strahler. Wenn die Kamera aufnahm, fraß sie dem Strahler Strom weg. Der quittierte das mit einem bösen Flackern. Und dieses Flackern ruinierte die Aufnahme.

Die Lösung, die ich, glaube ich um 1 Uhr in der Nacht fand, war eine kleine Batterie, die geladen wurde, wenn die Kamera wenig Strom brauchte, und Strom abgab, wenn die Kamera aufnahm. Das Lichtflackern war damit auch vorbei.

Mal eben das Knöpfchen drücken: Wenn das mal klappt, dann ist es ein Glücksfall. Aber oft steckt in einer einzigen Aufnahme jede Menge Vorbereitungsarbeit. Da muss vorher das Tarnzelt aufgebaut werden - natürlich am richtigen Ort. Kamera und Stativ und was alles noch so benötigt wird, muss angeschleppt werden. Es gab auch schon den Fall, ich ich eine dicke Autobatterie einen knappen Kilometer zum Einsatz schleppen musste.

 

Dann folgt meist das Warten. Endloses Warten. Denn das Tier steht nicht sofort auf Kommando bereit.

Bei einer Fuchsfamilie saß ich vier Wochen jeden Abend vor dem Bau. Ich hatte den Ausgang im Auge. Dort hatten sich Jungfüchse gezeigt. Nach vier Wochen Ansitz stellte ich durch Zufall fest, dass sie einfach einen anderen Ausgang, der lange Zeit nicht genutzt worden war, wieder aktiviert hatten. Dort konnte ich den Kamerauslöser schon am ersten Abend drücken.

Es kommt schon vor, das in einer Aufnahme, die locker in fünf Sekunden über den Bildschirm flimmert, fünf Stunden oder fünf Tage Vorbereitungsarbeit stecken.

Auch das geduldige Warten kann an die Substanz gehen - nicht immer ist das Zelt oder der Ansitz angenehm klimatisiert. Bussarde im Winter - die brauchte ich noch. Minus 10 Grad waren es draußen. Und als ich da saß, trieb ein kalter Wind die Schneekristalle unten durch das Zelt. Nach drei Stunden war ich trotz langer Unterhose und mehreren Paaren Socken total ausgekühlt. Gerade hatte ich beschlossen, abzubrechen - da kam der Bussard. Er blieb eine Stunde - ziemlich steif verließ ich danach das Zelt.

Im Oman war es das Gegenteil: Ich saß in einer Felsnische direkt am Meer, um von da aus die Kamera zu steuern, welche Schieferfalken aufnehmen sollte. Das Meer schwappte unten sogar bei Flut manchmal herein - doch ich konnte mich nicht abkühlen. Ich musste da sitzen bleiben. Bei bis zu 50 Grad und hoher Luftfeuchtigkeit. Bedingungen, die am Anfang den Kreislauf arg belasteten. Und schwitzen half auch nicht viel: Wegen der hohen Luftfeuchtigkeit war man nass und blieb es, Tag und Nacht, während der ganze Drehzeit.

 

Und dann ist da noch eine typische Tierfilmerkrankheit: Chronische Übermüdung. Denn nicht jedes Tier kommt mit der Sonne raus - manche ziehen die Nacht vor. Seien es Uhus oder der Hase, der nachts am Löwenzahn nagt. Manchmal vergesse ich auch einfach im Schnitt die Zeit, beiße mich fest und dann ist es plötzlich draußen dunkel, ich habe Hunger und die Uhr zeigt 2 Uhr am Morgen...

 

Besonders hart eine eine Zeit, als der Rotmilanfilm entstand: Es gab noch andere Aufnahmen zu machen. Deswegen ließ ich eine Kamera am Rotmilanhorst einfach durchlaufen. Morgens oder Vormittags hatte ich sie aufgehängt, acht Stunden lang speicherte sie dann Material auf der Speicherkarte. Abends holte ich die Speicherkarte ab und dann dauerte es drei Stunden, bis alles in den Computer eingelesen war.

Danach musste ich das gesamte Material durchgehen, löschte die langweiligen Bereiche und behielt die spannenden Szenen. Denn die Küken dösten meist oder putzten sich - davon hatte ich schon genug Aufnahmen. Das dauerte noch mal einige Stunden. Meist wurde ich erst fertig, als der Morgen graute. Die folgende Nachtruhe fiel meist viel zu kurz aus, die Ringe um die Augen traten nach und nach deutlicher hervor.

Und dann, eines Morgens, steckte ich, vollkommen neben mir stehend, zwei Stecker falsch herum zusammen. Oben am Horst sagte es leise „Plopp“, ich sah ein kleines Rauchwölkchen, mit dem die eine Kamera ihre Seele aufgegeben hatte.


Magie der Gewitter

Es gibt Menschen, wenn man die fragt, was ihr Lieblingswetter ist, kommt wie aus der Pistole geschossen: „Sonne. Wärme.“ Oft noch in Zusammenhang mit Wasser außen, vielleicht auch einem Bierchen innen.

 

Wenn ich nach meinem Lieblingswetter gefragt werde, halten mich die einen für verrückt, und die anderen verstehen es nicht, halten es für einen deplazierten Scherz. Wenn es draußen richtig zur Sache geht, dann ist das mein Wetter. Vor allem Gewitter. Wenn‘s blitzt und donnert, wenn Sturmböen über das Land fegen oder Hagel prasselt, dann bin ich in meinem Element und irgendwo draußen unterwegs. Natürlich mit der Kamera.

 

Diese etwas eigenartige Vorliebe entwickelte sich schon in der Kindheit - wenn es blitzte, stand ich am Fenster. Erste Erklärungen der Erwachsenen befriedigten mich ganz und gar nicht. Luftströme die aneinander reiben. Nee, das war mir damals nicht einleuchtend.

 

 

Kaum konnte ich lesen, verschlang ich Bücher, in denen die Natur erklärt wurde. Schnell erfuhr ich, das Blitze elektrische Entladungen sind. Und dass sie erst kommen, wenn oben in einer blumenkohlartigen Wolke, die aus Wassertröpfchen besteht, die Tröpfchen zu Eiskristallen gefrieren. Schnell lernte ich, dass man das auch von unten sehen kann: Wen die scharfen Ränder der Blumenkohlwolke oben ausfransen und sich wie ein Pilzhut über die Wolke ausbreiten.

 

Ich lernte, dass man schon lange vorher erkennen kann, ob die Wahrscheinlichkeit für ein Gewitter besteht. Das war in einem Buch sehr schön beschrieben. Die Wolken sehen aus wie gerupfte Wattebäusche, neigen dazu, kleine Türmchen und Säulen zu bilden. Deswegen heißen sie auch Altocumulus castellanus, also hohe Haufenwolken mit Zinnen wie bei einem Kastell.

 

Diese Wolken zeigen sich jedoch nur kurz. Es war am 7. August 1981 - ein Tag, den ich nie vergessen werde. Morgens waren diese speziellen Wolken zu sehen, und taten dann das, was sie immer machen: Sie verschwanden recht zügig. Als ich darufhin sagte, dass es heute Gewitter geben werde, wurde ich ausgelacht. Der Wetterbericht im Radio sprach von Sonne, der Himmel war blau.

 

Am Nachmittag zog eine grauschwarze Wolkenmasse von Nordwesten heran. Heute weiß ich, dass es ein ganze Rudel von Gewitterwolken war, die sich gegenseitig beeinflussen und eine ganz eigene Dynamik entwickeln. So ein Gewittercluster, wie man dieses Rudel auch bezeichnet, kann stundenlang aktiv sein, bevor er sich auflöst.

 

Jedenfalls schlug es ein, der Strom fiel aus, Putz bröckelte von der Wand. Die Mülltonnen wurden allein durch den Donnerknall auf die Straße gewirbelt. Der kleine Bach nebenan trat über die Ufer, das Haus wurde zu einer Hallig. Vom metallenen Fenstergriff sprang leicht kribbelnd ein Funke zu mir über, als ich mir die Nase an der Fensterscheibe platt drückte. Kurz und gut: Es war herrlich, ein Gewitter, an das ich mich mein Leben lang erinnern werde.

 

Doch all die Bücher, die ich verschlang, konnten mir damals nicht plausibel erklären, wie es überhaupt dazu kam, dass sich Wolken elektrisch aufladen. Viele andere Phänomene wurde ebenfalls recht unzureichend beschrieben. So reifte der von jugendlichem Übereifer geprägte Entschluss: Ich muss das selber herausfinden. Dazu brauchte ich einen Computer und jemanden, der sich damit auskannte. Ein Klassenkamerad hatte damals einen C64. Heute sind die meisten Armbanduhren leistungsfähiger. Doch damals war das eine tolle Möglichkeit.

 

Als armer Schüler baute ich einfache Geräte, mit denen Wetterdaten erfasst werden konnten. Die wurden in der ganzen Region an Freiwillige verteilt - die schrieben die Daten auf, wenn ein Gewitter kam. Die ausgefüllten Gewittermeldebögen wurden per Post zurück geschickt - eMail gab es noch nicht.

 

So ging es mehrere Jahre, dann waren Klassenkamerad Martin Bleilebens und ich so weit, um beim Wettbewerb „Jugend forscht“ teil zu nehmen. Wir konnten mit den Daten unseres Beobachternetzes beweisen, das Gewitter ganz bestimmten Bahnen folgen. Und das noch vor dem Zeitalter der Blitzpeilung und des Regenradars. Zu unserer Ausstattung gehört ein Blitzerzeuger, mit dem wir Auswirkungen von Gewittern in einer kleinen Modelllandschaft simulieren konnten. Da schlug der Blitz dann in eine Art Puppenhaus, da standen Pferde und Kühe oder Masten mit Freileitungen. Wenn wir die Maschine in Betrieb nahmen, fielen außer dem robusten C64 die anderen Computer der Jugend-forscht-Teilnehmer aus. Und wir wurden Sieger im Regional- und Landeswettbewerb, im Bundeswettbewerb gab‘s den 4. Platz.

 

Eine Sache faszinierte mich zu der Zeit sehr: Die Auswirkungen der Gewitter auf die Natur.   Zwar gab es noch jede Menge anderer Fragen zu dieser Wettererscheinung, doch dafür hätte ich eine etwas teurere Messausstattung gebraucht. Und daran war nicht zu denken. Also beschaffte ich mir eine primitive Videokamera, um das Tierverhalten bei Gewittern zu dokumentieren. Die ersten Gehversuche waren so faszinierend, dass für mich fest stand: Ich werde nicht Meteorologe (die Stellen in der Forschung waren ohnehin mit Sechsern im Lotto zu vergleichen), sondern Naturfilmer. Und das hat nach Jahren schließlich geklappt.

 

 

Doch dem Gewitter blieb ich treu. In fast allen Filmen, bei denen ich beteiligt bin, wird, wenn möglich, ein Gewitter eingebaut. Natürlich bin ich auch immer dann draußen, wenn dunkles Gewölk aufzieht.

 

Als ich wieder einmal die Wetterkarte studierte, stellte ich fest, dass sich im Allgäu ein Schwarm von Gewitterzellen gebildet hatte. Diese Zellen waren auf Nordkurs, nachmittags passierten sie Frankfurt. Kurs: Richtung Teutoburger Wald. Ich rechnete mir aus, dass die Ankunftszeit so gegen 21.30 Uhr sein würde. Weil ich befürchtete, dass sich m Abendverlauf das Unwetter nach und nach auflösen und auch nicht mehr die Überquerung des Teutoburger Waldes schaffen würde, fuhr ich ihm entgegen.

 

Ich suchte mir einen schönen Hügel mit weitem Blick aus. Die Wolken vorher waren eher langweilig - für eine Zeitraffer nicht schön genug. Es wurde dunkler. Dann begann das Wetterleuchten. Mir standen plötzlich die Haare zu Berge - ein Zeichen für viel Elektrizität in der Luft. Dann sollte man tunlichst Schutz suchen. Also packte ich die Kameras in Auto. Über mir flammten erste Blitze auf - leider verdeckt durch Wolken.

 

Etwas anderes fiel mir auf: Der Himmel hatte sich verfärbt - so ein Stich in grünliche. Ich wusste, dass das ein Zeichen für Hagel war. Schon schob sich aus der Ferne eine helle, breite Säule heran, die zu den Wolken herauf reichte. Das verdächtige Rauschen wurde lauter und lauter. Dann prasselten bis zu tischtennisballgroße Hagelkörner herab.

 

So etwas erlebt man nicht oft - ich schaltete also die Autoscheinwerfer ein und machte einige Aufnahmen. Weil das Bild durch Autoscheiben nicht gut aussieht, stieg ich aus. Die Körner hüpften nach dem ersten Auftreffen oft noch mal zwei Meter hoch. Zum Glück war die Außenhaut meines alten, guten Mercedes aus dickem Blech. Es schepperte fürchterlich, doch es gab keine Beulen. Die Beulen bekam ich, als ich zweimal draußen für ein Dutzend Sekunden filmte. Nachher hatte ich blaue Flecke an den Armen und Schultern. Und in der Originalaufnahme hört man auf der Tonspur leises „Aua“ und ebenso leise Flüche. Seit dem habe ich meist einen Helm im Fahrzeug dabei.

 

Andere hatten mit ihren Karossen weniger Glück: Sie bestanden hinterher nur noch aus Wellblech. Den Rückweg trat ich durch knöchelhohe Eisschichten an. Das Unwetter erreichte am nächsten Morgen die Nordsee, wo es sich auflöste.

 

Ein paar Jahre später hatte ich sogar eine Kamera, die gute Zeitlupen aufnehmen konnte. An diesem besonderen Abend hatte ich sie bei einem Uhu aufgebaut. Sie wurde aus mehr als 200 Meter Distanz ferngesteuert. Die Stunden vergingen. Es wurde dunkler. Doch irgendetwas ließ mich unruhig werden. Schon als Kind hatte ich mir gewissermaßen eine Wetterfühligkeit antrainiert - auch heute spüre ich es meist noch, wenn ein Gewitter im Anzug ist. So war es auch an diesem Abend, wie der Blick auf die Wetterkarte des Mobiltelefons zeigte. Was für ein Unterschied zu den Gewitterdetektoren zu meiner Jugend-forscht-Zeit...

 

Ich baute die Kamera bei Familie Uhu ab und fuhr ins freie Feld. Die Aufnahmegeräte waren besser als noch vor ein paar Jahren, trotz Dämmerung waren Zeitrafferaufnahmen möglich. Plötzlich schlug der Sturm zu - selbst das schwere Stativ kippte um. Zum Glück passierte den Kameras nichts. Große Regentropfen platschten vom Himmel.

 

Dann aber fing ich einzigartige Szenen ein: Im Hintergrund schossen Megablitze aus einem Sendemast in den Himmel - in ihrem Licht konnte ich die fallenden Tropfen in Zeitlupe filmen. Dazu wurde die Kamera auf Bereitschaft geschaltet, dann stieg ich aus dem Auto aus, hielt die Kamera flach über den Boden. Wenn ein Blitz kam, speicherte die Kamera auf Knopfdruck die letzten acht Sekunden. Das Speichern dauerte immer eine halbe Minute, die ich nutzte, um im Auto die Kamera abzutrocknen.

 

Bei den Megablitzen handelte es sich um Positiv-Aufwärtsblitze. Normalerweise rasen die Entladungen ja durch die Wolke oder schlagen von oben nach unten ein. In diesem Fall kamen die Blitze von unten und rasten in den Himmel und durch die Wolken. Sie sehen dann aus wie der Buchstabe „Y“ oder „V“. Bis zu 25 Kilometer wurden sie lang. Manchmal gab es kleine Verästelungen, die schon mal weit entfernt vom „Startpunkt“ des Blitzes wieder in die Erde schlugen. So ein Seitenast ging etwa 150 Meter von mir entfernt runter, als ich wieder draußen stand und gerade die Kamera auslösen wollte.

 

Es fühlte ich so an, als hätte ich in einen elektrischen Weidezaun gegriffen. Nichts passiert - und ich hatte jede Menge Energie und weiter zu filmen...


Dem Rotmilan auf der Spur - Teil 2

Jeder Film ist auch ein kreativer Prozess. Besonders Naturfilmer malen mit Licht, komponieren die Szenen. Nach Möglichkeit sollte jedes einzelne der 25 Bilder, die pro Sekunde über den Bildschirm flimmern, für sich genommen ein Postkartenmotiv sein. Das geht natürlich nicht immer. Dennoch steckt in jedem Film viel Herzblut - und in dem Rotmilanfilm ganz besonders.

 

Das Schöne an diesem Projekt war, dass wir vollkommen freie Hand hatten. Dass wir unsere Ideen umsetzen konnten, ohne dass uns drastische Vorgaben gemacht wurden, wie was auszusehen hat. Und wir hatten genug Zeit, um das Projekt zu vollenden. Denn für so einen Film sind mindestens zwei Jahre notwendig. Allzuviel kann im ersten Jahr schief gehen. Eine Brut fällt aus. Oder ein Partner kommt nicht aus den Winterquartieren zum Horst zurück. Die Rotmilane beschließen, in eine andere Residenz umzuziehen. Dann ergibt sich erst im nächsten Jahr die Chance, die entsprechenden Szenen in den Kasten zu bekommen.

 

 

 

Im dritten Jahr der Produktion begannen wir, den kompletten Film zu schneiden, nachdem vorher erst Trailer und einige einzelne Szenenfolgen fertig gestellt werden konnten. Sowas ist nochmal viel Arbeit. Musik muss ausgesucht, ein Text für den Sprecher geschrieben werden. Manchmal werden an einem Tag fünf Minuten Film im Rohschnitt fertig, manchmal feilt man an einem einzigen Übergang mehrere Stunden.

 

Zwischendurch geht es auf zu weiteren Projekten. Uns kam es daher gelegen, als sich - wir hatten den Film fast fertig - ein Redakteur vom ZDF meldete sich. Ob wir Lust hätten, für ein Projekt auf Mallorca Naturaufnahmen zu machen? Klar hatten wir Lust.

 

Die Dreharbeiten im Mittelmeer fielen natürlich genau in die Zeit, als auch die schon als großes Event geplante Premiere des Filmes im Lippischen Schlangen geplant war. Das sei kein Problem, wurde uns versichert, wir würden rechtzeitig vom Drehort zum Flieger gebracht werden.

 

Und wir hatten den Film aus einer spontanen Laune heraus zu einem internationalen Naturfilmfestival eingereicht.

 

Drei Tage vor der Filmpremiere hingen wir noch auf einer kleinen Insel im Süden Mallorcas fest - auf den letzten Drücker wurde eine Rückfahrt organisiert. Wir bekamen mit einiger Mühe den Flieger und so stand der Premiere mit Medienvertretern, den Vertretern von Politik und Gesellschaft, Wissenschaftlern, Festrednern sowie mehreren hundert Gästen nichts mehr im Weg.

 

Als wir danach dann wieder im Mallorcanischen Tramuntana-Gebirge unterwegs waren, klingelte das Mobiltelefon. Eine sehr freundliche Mitarbeiterin des Greenscreen-Festivals in Eckerförde war am anderen Ende. Ob wir denn zur Preisverleihung kommen wollten - lautete ihre Frage.

 

Oh, das hatten wir schon ganz vergessen. Denn wir hatten uns natürlich keine Chancen ausgerechnet. Namhafte Fernsehproduktionen aus dem In- und Ausland hatten Filme eingereicht, auch die BBC mit ihrem Star Sir David Attenborough. "Naja...", druckste ich herum.

 

Wir seien mit unserem Film nominiert, und wir sollten doch kommen. Ein Hotelzimmer werde reserviert. Ok - ich gab mich geschlagen und sagte zu. Abends teilten wir uns einen Piccolo - mehr war nicht drin, wir waren mitten in den Dreharbeiten.

 

Dann war es so weit. Wir waren zu Gast beim Greenscreen-Festival - wie wir inzwischen erfuhren, eines der ganz Großen im Naturbereich. Wir sahen die Werke der anderen Nominierten. Geparden in Südafrika. Ein Filmer, der 30 Jahre in der Sonora-Wüste in den USA gefilmt hatte. Dagegen konnten wir einfach nicht ankommen mit unserem Lippischen Rotmilan. Aber wir fanden es schön - genossen die Atmosphäre des liebevoll gestalteten Festivals, die netten Gspräche mit den anderen Filmern und natürlich die Filme, die gezeigt wurden. Dann kam der Abend der Preisverleihung.

 

Warm war es auf dem Dachboden der Scheune, der zur Festhalle geworden war. Auch unser Redakteur vom ZDF war dabei. Dann kam ein Film nach dem anderen - einer der Hauptpreise ging verdientermaßen, wie wir fanden, an die BBC-Produktion. Eine weitere wichtige Sparte kam fast zum Schluss, prämiert werden sollte der beste unabhängig produzierte Film.

 

Und es war wie im Film. „Der Gewinner ist....“ sagte der Moderator. - Papier raschelte, ein Umschlag wurde auf der Bühne geöffnet. Es war totenstill im Saal. Dann hörte ich: „Das Jahr des Rotmilans“.

 

 „Juhuuu“, rief der Redakteur neben uns. Alle dachten, ich wäre das gewesen. Aber Mitstreiterin Sarah Herbort und ich waren erst einmal sprachlos. Wir dackelten zur Bühne und fanden langsam die Worte wieder. Danach erlebten wir den Abend wie in Trance. Später gab es einen Stein in der Uferpromenade von Eckernförde mit unseren Namen drauf, und der Film wurde noch mit weiteren Preisen ausgezeichnet.

 

Das schönste waren aber danach die Vorträge mit unserem Rotmilanfilm. Wir schienen einen Nerv getroffen zu haben. In Halberstadt füllte sich der Rathaussaal, irgendwann mussten Zuschauer, die noch draußen in der Schlange standen, ausgesperrt werden - der Saal wäre sonst zu voll geworden.

 

Im Rahmen des Greenscreen-Festivals tingelten wir mit dem Streifen durch einige Kinos in Schleswig-Holstein - mit speziellen Veranstaltungen für Schüler. Es war wunderbar, die Reaktionen zu erleben. Ein Mädchen aus der dritten Klasse war besonders begeistert von den jungen Meisen, die im Film auftauchen. „Kann ich auch so eine Meise haben?“ fragte sie.

 

Auch Jahre später ist der Rotmilanfilm immer noch gefragt. Ebenso die Aufnahmen - denn die von uns für den Film entwickelte Technik ermöglichte einzigartige Einblick in die Kinderstube des faszinierenden Greifs.


Dem Rotmilan auf der Spur - Teil I

Mit dem Rotmilan verbindet mich etwas ganz Besonderes: Wie sich schon im Jahr 2011 heraus kristallisierte, ist meine Heimat, das Lipperland, ein Schwerpunkt der Verbreitung dieses Greifs. Die meisten Rotmilane brüten in Deutschland, und es gibt sie nur in Europa.   Das war auch der Anlass, dass der Kreis Lippe auf meine Kollegin Sarah Herbort und mich zu kam. „Hättet Ihr Lust, einen Film über Rotmilane zu drehen?“, lautete die Frage.

 

Klar, hatten wir Lust. Wir sagten zu. Doch dann begannen die Überlegungen. Wie kann man einen Vogel, der seinen Horst in 15 bis 30 Metern Höhe in Baumkronen baut, filmen? Wenn man die Jungen von unten mit der Kamera sieht, dann ist die interessanteste Phase bereits vorbei. Und der Blick von unten ist nicht gerade das, was ein Filmerherz höher schlagen lässt.

 

Unser lieber alter Kollege Heinz Sielmann hätte sicher im Nachbarbaum eine Plattform gebaut, einen schön getarnten Ansitz. Doch dazu müssen die Bäume richtig stehen, man muss freien Blick auf den Horst haben und das Wetter muss mitspielen. Denn wenn mal windig ist, dann schwanken die Baumkronen. Und dann verwackeln auch die Aufnahmen.

 

Wir erfanden also eine neue Technik, eine Art Kamerafahrstuhl.

 

Als im Winter die Hausherren noch im Süden weilten, brachten wir mit einem Hubwagen die Aufhängung am Horst an. Das war oft abenteuerlich. Mal fror das Hydrauliköl ein, und wir mussten uns samt Ausrüstung in 15 Metern Höhe schön fest halten, damit wir nicht aus den Korb des Hubwagens rutschten. Mal fuhr sich der Wagen auf einem Feld fest, als die Sonne die Oberfläche in Schlamm verwandelte. Oder die Höhe reichte nicht ganz aus. Dann kam ein größerer Hubwagen, und es fehlte immer noch ein Meter, als die Sicherheitsabschaltung in Kraft trat. Da half dann nur beherztes Schwingen, bis wir den Baumstamm zu packen bekamen und und so an den Horst heranziehen konnten.

 

So wurden vier Rotmilannester mit Technik versehen. Und bei einem hatten wir Erfolg. Die Rotmilane zogen ein und fanden die Installation ganz in Ordnung.

 

Die Technik funktioniert einfach: Mit einer Art Flaschenzug wurde eine Kiste nach oben gezogen, in der die Kamera eingebaut war. Oben schnappte die Kiste ein, damit sich im Wind nicht wild herum pendelte. Ein langes Kabel versorgte die Kamera mit Strom und den Steuerimpulsen. Und uns am Boden mit dem entsprechenden Bild. Auf einem Monitor konnten wir sehen, was die Rotmilane trieben, und nach Bedarf schwenken, zoomen oder die Aufnahme starten.

 

Mit unserer Technik waren wir die ersten, die so hautnahe Aufnahmen aus dem Leben der Rotmilane in professioneller Qualität machen konnten. Wir verbrachten Stunden am Monitor unter dem Horstbaum. Und uns standen Tränen im Auge, als wir zum ersten Male die frisch geschlüpften Küken sahen. Der Aufwand hatte sich gelohnt.

 

Im zweiten Jahr der Dreharbeiten hatten wir vier weitere Horste mit Technik ausgestattet, zwei davon wurden besetzt, einer allerdings von den weltweit verbreiteten Schwarzmilanen. Wir erlebten jede Menge Abenteuer bei den Dreharbeiten. Mal kamen Wildschweine vorbei, mal löste sich oben eine Schraube. Die Folge: Kasten samt Kamera machten sich beim einrasten selbstständig und kamen, der Schwerkraft folgend, herunter. Und der Kasten beschleunigte dabei auf atemberaubende Werte. Kurz hatte ich überlegt, ob ich alles auffangen könnte - verwarf die Idee glücklicherweise wieder.

 

Einmal schloss ich, vollkommen übernächtigt, die Stromversorgung falsch an. Die Folge war ein leises Zischen im Kasten, ein protestierender Ruf der jungen Milane und ein Rauchwölkchen, das aus dem Kasten quoll und den Tod der Kamera besiegelte.

 

Rotmilane schlagen keine große Beute. Mäuse gehörten zur bevorzugten Beute, die Alttiere nehmen sogar Regenwürmer und Großinsekten. Besonders gern erbeuten sie Aas. Das rennt nicht weg und wehrt sich nicht. Und so legten wir für unsere Milane einen Luderplatz an.

 

Hört sich lustig in der Jägersprache lustig an, ist aber einfach ein Platz, wo man tote Tiere deponiert. Oft sammelten wir überfahrene Tiere ein. Wenn die ein paar Stunden liegen, dann sind sie ein olfaktorisches Problem. Dann hilft es nur, beim Transport alle Fenster auf zu machen. Manche Verkehrsteilnehmer werden auch ein wenig sparsam geschaut haben, wenn sie im Heckfenster des Geländewagens schlanke Rehbeine aufragen sahen. 

 

Am Luderplatz roch es auch nicht gerade nett, vor allem im Sommer. Dann war das Ansitzen dort nicht immer ein Vergnügen.

 

Ähnliche Erfahrungen machten wir in Spanien. Neuzeitliche Rotmilane pflegen in den Süden zu wandern. Nicht wegen der Wärme. Wir wir erfahren mussten, kann es in der Schweiz und in den Pyrenäen verdammt kalt werden. Nein, sie finden dort einfach besser Nahrung. In Spanien gibt es Luderplätze für Geier und Co, nachdem wegen eine EU-Verordnung keine toten Tiere mehr in der Landschaft liegen durften. Dass sie weg geräumt wurden, brachte Milan und Geier an den Rand der Ausrottung, deswegen werden sie jetzt zum Fressen an speziellen Stellen rausgelegt.

 

Oder in der Schweiz gibt es sogar private Fütterungen für die Tiere. Rotmilane treffen sich im Süden zu Schlafgemeinschaften - dann sitzen hundert und mehr dieser Vögel in speziellen Bäumen. Das wollten wir natürlich auch filmen. Wir machten uns also auf den Weg in die Pyrenäen. Weil der Film vor allem über Spenden finanziert wurde, hatten wir nur ein arg begrenztes Budget. Wir hatten nicht viel Zeit, so einen Rastplatz zu finden.

 

Die kleine Expedition war beschwerlich - auch wenn einige böse Zungen daheim in Lippe Gerüchte von Tierfilmer-Lustreisen verbreiteten. Es war kalt, es stank auf den Luderplätzen. Eines der Tarnzelte mussten wir hinterher weg werfen, weil es den Geruch des Luderplatzes angenommen hatte. Es wieder im Auto in die Heimat zu transportieren, war einfach unzumutbar.  Als wir aber dann nach ein paar Tagen filmen konnten, wie sich auf einmal hunderte Rotmilane am Himmel versammelten, fielen uns regelrechte Felsbrocken vom Herzen.

 

Mutig geworden, ging es noch in die Schweiz. Dort füttert im Kanton Luzern ein engagierte Bauer seine Rotmilane. Mehr als 200 finden sich im Winter bei ihm ein, sie bekommen jeden Morgen um 9. Uhr Frühstück. Doch vorher gab es noch technische Probleme.

 

Der Spanische Diesel im Tank machte dann bei den minus 22 Grad in der Schweiz nicht mehr mit. Diesel wird bei tiefen Temperaturen zu Gelee. Wie in einem schlechten Film stotterte der Motor unseres Geländewagens in Sichtweite der Tankstelle und ging aus.

 

Ein andere Geländewagen kam uns zu Hilfe, zog uns bis zur Tanke. Dann gab es den guten winterfesten Schweizer Diesel und zur Sicherheit noch einen Schluck Super oben drauf. Und schon schnurrte unser Auto wieder wie ein Schweizer Uhrwerk.

 

Dann konnten wir filmen. Über dem Futterplatz kreisten 200 Rotmilane und 40 Bussarde wie ein großer Vogeltornado. Und wir brachten einzigartige Aufnahmen mit.

 


Tiere finden

Blaukehlchen
Blaukehlchen

Bei Vorträgen werde ich immer wieder gefragt: „Wie findest Du die Tiere eigentlich?“

 

Dann muss ich immer einwenig nachdenken - denn so auf die schnelle Art und Weise lässt sich diese Frage nicht beantworten. Einfach zu beantworten ist es allerdings, wie es nicht geht: Nämlich einfach draußen rumlaufen, mit Stativ und Kamera auf der Schulter, vielleicht noch einem deftigen Frühstück im Rucksack, und nach passenden tierischen Motiven suchen.

 

Das ist zu ineffektiv - kann höchstens als romantisierende und naive Vorstellung des Tierfilmerdaseins dienen. Doch diese Vorstellung ist weit verbreitet - ich muss die Zuhörer dann leider immer wieder enttäuschen.

 

Fündig werde ich auf ganz andere Weise: Da sind vor allem befreundete Naturschützer, Jäger oder Förster. Die entdecken eine ganze Menge - und manchmal rufen sie an. So auch einer meiner Lieblingsförster. „Da sitzen bei mir junge Uhus im Revier. Direkt am Boden. Interessiert Dich das?“, lautete der Anruf. Na klar. Das war interessant und es entstanden einzigartige Bilder.

 

 

Immer wieder gibt es Hinweise von naturbegeisterten Menschen. Die fallen meist in zwei Kategorien: Zum einen inspirierend und interessant, zum anderen gut gemeint, lieb und nett, aber leider nicht für mich nutzbar. Zu letzterem gehören so Beschreibungen, wie: „Also da in dem Wald, da brütet bestimmt der blaukarierte Tannennadelfresser“ (das ist jetzt ein Phantasietier, kann aber durch alle anderen ersetzt werden). Wenn ich dann nachhake, dann kommt meist das: „Ich hab ihn da schon ganz oft gesehen. Nein, aber vor dem Bau (oder das Nest) ist, das weiß ich nicht. Es ist aber bestimmt da.“ Leider könnte ich bei solchen Angaben an dem jeweiligen Ort warten, bis ich alt und grau bin und die Kamera Spinnweben ansetzt. Denn dann was zu finden, ist ein reiner Glücksfall.

 

Manche rufen auch an, weil sie eine ganz tolle Beobachtung gemacht haben. Und sie wollen es unbedingt loswerden. Dann geht man als freundlicher Naturfilmer nett darauf ein. Doch in den wenigsten Fällen lohnt es sich, hinzufahren. Beispiel gefällig: „Hier kommt immer ein großer Vogel auf dem Feld nebenan. Gestern habe ich ihn das letzte Mal gesehen“. Bei genauerem Nachfragen entpuppt sich der Vogel dann vielleicht als Rotmilan. Der ist aber inzwischen längst über alle Berge. Dennoch freue ich mich, mit welcher Begeisterung diese Beobachtungen oft geschildert werden.

 

 

Oft können die begeisterten Menschen auch nicht unterscheiden, was bei Fotografen und was bei Filmern wichtig ist. Um ein Tier in seiner Umgebung zu dokumentieren, reicht oft ein Bild. Dann sitzt der Star vielleicht wunderschön glänzend in der Morgensonne. Das perfekte Bild. Postkartenreif. Doch für mich, als Filmer, reicht das einfach nicht. Im Film muss man Geschichten erzählen. Und der Star muss was machen, aktiv sein. Wenn er umherhüpft und singt - das ist schon was. Noch besser wäre das Sammeln von Nistmaterial, das Brüten und das Füttern von Jungen. Dann wird eine Geschichte draus, die in einem Film erzählt werden kann.

 

Dennoch bin ich über jeden Hinweis dankbar - manchen kann ich nur nicht nachgehen. Deswegen ermutige ich die Menschen immer wieder: Sagt Bescheid, wenn was Besonderes beobachtet wird, vielleicht findet es ja doch noch irgendwann mal den Eingang in einen Naturfilm...

 

 

Das Tier einfach nur zu zeigen - dies ist in den meisten Fällen nicht zielführend. Und deswegen auch immer die Nachfrage meinerseits, wo die Bauten, die Nester oder ähnliches sind. Natürlich gibt es Ausnahmen. Wenn, wie vor Jahren an den Externsteinen ein Felsläufer vorbei kommt, weil ihn ein Sturm aus den Alpen hergeweht hat. Hier kommt das seltene Tier nicht vor. Dann reichen schon ein paar bewegte Aufnahmen - zum Glück - weil es einfach eine Rarität ist, Und dann muss einfach das Ambiente herhalten, um eine Geschichte zu erzählen.

 

Oder kürzlich suchte ich ein Blaukehlchen. Das nistet auch gern im Röhricht. Da ein Nest zu entdecken, das ist schon wie ein Fünfer im Lotto. Und für einen Film sollte es wenigsten ein paarmal im Bild zu sehen sein. Ein befreundeter Fotograf gab mir einen Tipp. In einem Moor, an einer bestimmten Stelle,  hatte er immer wieder den schönen Vogel gesehen. Ich fuhr also dort hin und schaltete einen Klangattrappe ein. Das ist ein Lautsprecher, der bei Vögeln idealerweise den Reviergesang wieder gibt. Der Vogel vermutet somit einen Konkurrenten in der Nähe und kommt herbei, um den Eindringling mal zu mustern und vielleicht zu vertreiben. Oder er reagiert mit einem intensiven, eigenen Reviergesang. Der hübsche, kleine Kerl kam sogar so nah heran, dass ich ihn nicht mehr scharf stellen konnte. Mit ein wenig Futtersuche und seinem Reviergesang hatte ich dann meine Mini-Geschichte beisammen.

 

 

Und es gab auch etwas zum Schmunzeln. Zwei ältere Damen kamen vorbei, und eine fragte, angesichts des an eine kleine Kanone erinnernden Teleobjektivs, ob ich mich auskenne. In meiner sprichwörtlichen Bescheidenheit entgegnete ich, dass ich mich kaum auskennen würde - ich wusste ja noch nicht einmal, worum es ging. „Wissen Sie denn, welcher Vogel da gerade singt?“ fragte die nette Dame. Klar, das konnte ich ihr identifizieren. „Das ist ein Blaukehlchen“ antwortet ich. Worauf sie staunend entgegnete, das das ja richtig toll sein, dass es hier Blaukehlchen gebe. Allerdings kam der Gesang aus meiner Tonkonserve - deswegen konnte ich auch mit Bestimmtheit sagen, was es war.

 

 

Bei diesem Vogel hatte mir ein Fotograf freundlicherweise weiter geholfen. Mit einigen Kollegen klappt das wunderbar. Wir tauschen uns aus, zu beiderseitigem Nutzen. „Du suchst einen Dachs? Hab ich, zeige ich Dir. Weißt Du eventuell noch von einem Neuntöternest?“ oder „Kannst Du mal die Augen offen halten, ich suche Siebenschläfer. Dafür könnte ich Dir eurasische Zwergmäuse anbieten, die haben geworfen und ich bin fertig mit filmen“. So gehen oft die Deals hin und her. Oder manchmal nehme ich auch junge oder kranke Wildtiere auf, päppele sie auf und dann müssen sie diesen Aufwand vor der Kamera „abarbeiten“. Und manchmal profitiert auch mal ein begeisterter Kollege davon. Alle haben etwas davon, freuen sich, denn man schnappt sich ja nichts weg. Jeder Film ist individuell, jedes Foto auch. Darauf kommt es an. 

 

 

Doch es geht auch anderes. Es gibt Kollegen, die blocken einfach. Sie machen zwar Stilaugen, wenn sie die jungen Dachse im Film sehen, und fragen dann auch, wo man die finden kann. Und wollen es gleich gezeigt bekommen, vielleicht sogar mit vorhandenem Tarnzelt und natürlich einer Garantie, dass Meister Grimbart auch wirklich Punkt neun Uhr den Bau verlässt. Denn sie sind ja vom Fernsehen.  Und dann hat sich das Tier auch gefälligst danach zu richten. Wenn man sie aber nach etwas fragt, kommt die Antwort: „Oh, das ist ganz schwierig. Leider können wir da nicht weiter helfen“.

 


Zu Besuch beim Schwarzkehlchen

Es gibt so ein paar Vogelarten, da bekommen eingefleischte Ornithologen leuchtende Augen. Die Arten sind regional unterschiedlich. Klar, Haussperling und Amsel werden jetzt nicht zu puren Begeisterungsstürmen führen. Wobei man sagen muss, dass in Brehms Tierleben vor mehr als 100 Jahren noch stand, die Amsel sei ein scheuer Waldbewohner. Aber Zeiten ändern sich, und auch die Evolution schreitet voran. Heute nutzt die Amsel auch gern Parks und Gärten, folgte dem Menschen, passte sich neuen Lebensbedingungen an.

 

Nicht gerade häufig ist auch das Schwarzkehlchen in Lippe. Es gab Jahre, da konnte man die Bruten im Kreis mit einer Hand abzählen. Und so freute ich mich riesig, als ich einen Tipp bekam. Auf einer Wiese war es mit Futter gesichtet worden. Allerdings lag das in Frage kommende Areal genau zwischen zwei Wanderwegen und war auch bei Hundegassigehern recht beliebt. 

 

Ansitzen mit einem Tarnzelt? Kam auf keinen Fall in Frage - schließlich sollte ja keine Aufmerksamkeit auf den seltenen Vogel gelenkt werden. Und so griff ich auf eine selbst entwickelte Technik zurück - die ferngesteuerte Kamera. Die fällt im hohen Gras nicht auf.

 

Zunächst gab es da einen Pfahl eine alten Weidezaunes. Den nutzten Papa und Mama Schwarzkehlchen gern, um bei ihren Futterflügen einen Zwischenstopp einzulegen und zu schauen, ob die Luft rein  war.

 

Weil kein Mensch in der Nähe war, gewöhnten sich die Vögel schnell an die Kamera nach knapp drei Minuten wurde der Pfahl wieder angeflogen. Manchmal fanden die Tiere es auch witzig, auf der Kamera selbst zu landen - eigentlich das beste Kompliment, dass sie mir machen konnten.

Von dieser Position aus konnte ich auf einem Kontrollmonitor verfolgen, welche Route die Vögel nahmen, und so entdeckte ich das Nest in einem Grasbüschel. Man muss nämlich wissen, dass Schwarzkehlchen auf dem Boden brüten. Erste Aktion war es dann, einen Wildpfad unpassierbar zu machen - der führte einen Meter neben dem Nest entlang und wurde gern von Spaziergängern und Hunden benutzt. Ein paar große Ranken von Dornengestrüpp wirkte Wunder.

 

Dann konnte ich die Kamera auch am Nest positionieren. Nach zwei Wochen waren alle vier Jungen flügge, hüpften Munter auf Zäunen und in den Büschen umher. Sie hatten alle Überlebt - und ich hatte einzigartige Aufnahmen aus der Kinderstube der Schwarzkehlchen. Teilweise hatten sie sich sogar ins Objektiv gekuschelt, während ich an die 100 Meter entfernt saß und per Funk die Kamera bediente. Ein gute Trick, die Tiere nicht zu stören - denn dann würden sie auch nicht das natürliche, authentische Verhalten zeigen. Und das möchte ich ja auch aufnehmen.

 

Ein Naturschützer, der die Aktion begleitet hatte, war auch begeistert. Ein Kollege von ihm aber weniger - er war aus dem Häuschen und wollte mich sogar anzeigen. Dabei haben die Schwarzkehlchen wahrscheinlich wegen der Dreharbeiten überlebt. Weil dort dann weder trampelige Ausflügler noch schnüffelnde Hundeschnauzen unterwegs waren.

 

Für mich war es ein wundervolles Erlebnis - an das ich oft noch zurück denke!


Rehe und Hirsche vor der Kamera

Mit Rehen kam ich schon ganz zu Beginn meiner Naturfilmkarriere in Kontakt. Es ist viele Jahre her, als ich, möglichst gut getarnt, mit einer damals noch relativ primitiven weil billigen Kamera auf der Lauer lag. Damals gab ich mich noch der Illusion hin, dass Naturfilmer morgens einfach Stativ und Kamera schultern und wohlgemut in den Wald stapfen. Man schaut, ob sich dort Hase, Igel, Fuchs oder Reh zeigen, filmt so ein bisschen in den Tag hinein und freut sich dann abends über die Ergebnisse. Diese etwas naive Sichtweise des Berufs änderte sich später sehr schnell. Heute müssen einfach bestimmte Orte direkt angefahren werden, damit man genug Zeit hat, um anzusitzen. Denn auch in diesem Job geht es um Zeit. Einfach so drauf los zu drehen, das kann ein Naturfilmer eigentlich nur im Urlaub.

 

Doch zurück zu meinem damaligen Erlebnis. Ich lag also in einer Mulde am Rand eines Feldes. Die Kamera stand vor mir auf dem Stativ und ich wartete ganz fröhlich der Dinge oder besser: der Tiere, die da kommen sollten. Was kam, waren mehrere Rehe. Der Wind stand günstig, sie bemerkten mich nicht. Sie kamem immer näher. Die Kamera lief. Und dann ist eine Ricke fast auf mich drauf getreten. So nach kamen die Tiere an mir vorbei. Wir erschreckten uns, glaube ich, beide ein wenig, dann stoben die Vierbeiner davon. Ich blieb erst mal zufrieden liegen.

 

Das war für meine damaligen Verhältnisse ein wundervolles Erlebnis. Heute ist es ein wenig anders. Da Rehe häufig schon im Film zu sehen waren, hält man heute mit der Kamera nur dann drauf, wenn es wirklich einzigartige Szenen sind. Wenn sie nicht nur tolles Verhalten zeigen, sondern auch noch schön im Licht stehen. Oder wenn es kalt ist, der Atem als kleine Wölkchen aus der Nase kommt. Einmalige Szenen eben.

 

Eine solche Szene gab es einmal ganz spontan. Und sie war nur möglich, weil ich so einen kleinen Spleen habe. Aber sind wir nicht alle ein wenig verrückt? Aus leidvoller Erfahrung hatte ich mir irgendwann angewöhnt, die Kamera immer in der Nähe zu haben. Inzwischen fühle ich mich ohne Kamera gewissermaßen nackt. Und so wird man mich nie ohne solch ein Gerät zumindest in Reichweite antreffen.

 

Es war die Zeit als der professionelle Film noch auf richtigem Filmmaterial belichtet wurde. 16 mm war dieser Film breit, und so hieß er auch. Damals lief so ein Film ratternd durch die 16mm-Kamera. Man hatte mit einer normalen Ladung ungefähr zweieinhalb Minuten Aufnahmedauer, dann war der Film voll und man musste eine neue Rolle einlegen.

 

Eine solche Kamera marke Beaulieu lag neben mir, als ich eines Tages im Auto unterwegs war. Da ich sah ein Reh, dass wahrscheinlich von einem frei laufenden Hund aufgescheucht worden war. Ich legte eine Vollbremsung hin, schnappte mir die Kamera, und hechtete mit einem Sprung in den benachbarten Graben, von dem ich aus einen tollen Blick auf das Geschehen hatte. Ich erwartete dass das Reh nun über einen angrenzenden Weidezaun sprang. Doch das gute Tier hatte sich ein wenig verschätzt. Es lief am Zaun erst einmal auf und ab, bevor es versuchte durch eine der groben Maschen des Zaunes zu kommen. Es blieb dabei natürlich hängen und beim Freistrampeln verlor es eine ganze Menge seines Fells.

 

Das stiebte besonders schön, weil das Reh gerade das Winterfell ablegte. Die Szene hatte ich auch noch mit leichter Zeitlupe aufgenommen und sie wirkte nachher richtig dramatisch. Sie wurde dann bei Quarks & Co. im WDR im Rahmen einer Gewittersequenz eingesetzt, was mich natürlich sehr gefreut hat und mich darin bestätigte, immer eine Kamera mit mir herum zu schleppen.

 

(C) L. Salitter
(C) L. Salitter

Als die Arbeit war schon deutlich professioneller geworden war, brauchte ich noch Detailaufnahmen von Rotwild. Doch normalerweise muss man dafür dann lange ansitzen - doch das Projekt sollte abgeschlossen werden, ich hatte nicht mehr viel Drehzeit übrig. Da gab es nur eine Möglichkeit: Mit einem Kollegen zusammen fuhr ich zu einem sehr weitläufigen Gehege in dem die Tiere zu bestimmten Tageszeiten gefüttert wurden. Dann traten sie aus ihrer Deckung und wir wussten, dass just an dieser Stelle auch gutes Licht herrschen würde. Das natürliche Umfeld entsprach auch dem, was ich brauchte.

 

Als wir dort ankamen, erwarteten uns etwa 30 Fotografen, mit zum Teil gewaltigen Telekanonen, die alle in Aussicht dieses tollen Ereignisses am Straßenrand standen. Wir reihten uns mit unseren Kameras ein. Der Kollege hat übrigens seinen Boliden mit einem ausrangierten Kinderwagen an den Ort des Geschehens geschafft, ich musste meine Kamera auf der Schulter schleppen. Aber man lernt ja nie aus.

 

Wir haben in Zeitlupe gedreht, anders ging es gar nicht, denn sobald sich die Tiere zeigten gab es um uns herum einen wahren Orkan von klicken den Fotoapparaten die jede Tonaufnahme ad absurdum geführt hätten. Und bei Zeitlupe ist auch kein Ton dabei. Die Aufnahmen, die so entstanden waren jedoch einfach klasse und schienen direkt in der Wildnis entstanden zu sein.

 

Schließlich war dann noch die Hirschbrunft, die am Rande eines großen moorigen Gebietes stattfinden sollte. Ein anderer Kollege und ich hatten einen Auftrag über diese Landschaft im Nordvorpommern einen Imagefilm herzustellen. Es gab zwei Orte, an denen Hochstände einen guten Blick erlaubten. Von denen aus könne man die Hirschbrunft wunderbar filmen, versicherte uns der Förster. Am Abend saß der Kollege auf dem einen und ich zwei Kilometer weiter auf dem anderen Hochstand. Man hörte die Hirsche, wie sie im Dickicht röhrten. Es scholl mit Echo imposant herüber. Aber wie es so ist, ich kam zwar den Genuss eines schönen Abendrots, dann wurde es dunkel. Die Hirsche brüllten nur und zeigten sich nicht. Mein Kollege meinte, einen gesehen zu haben, doch auch er konnte keine Aufnahme machen. Aber wir hatten ja noch den nächsten Morgen. Wir tauschten die Ansitze und mir boten sich wunderbare Nebelschwaden, die in Zeitraffer geisterhaft um die Baumskelette des Moores schwebten. Ein Fuchs kam vorbei. Doch die Hirsche brüllten sich schön versteckt im Dickicht die Seele aus dem Hals. Der Kollege hatte Glück, er sah wenigstens ein oder zwei Stücke Rotwild, aber das war’s dann auch schon. Die richtig schönen Bilder der Hirschbrunft nahmen wir dann doch aus unseren Archiven.


Hornissengeschichten

(C) R. Jähne
(C) R. Jähne

Sie sind beeindruckend. Allein schon wegen ihrer Größe. Wenn sie uns brummend wie ein Jumbojet umkreisen, dann bekommt jeder Respekt. Und wenn sie noch einen draufsetzen wollen, dann erzeugen sie mit ihren Kieferzangen knackende Geräusche. Das heißt dann auf hornissisch: „Hab Respekt und lass uns in Ruhe. Ansonsten wissen wir uns zu wehren!“.

 

Stechen tun Hornissen eigentlich selten. Sie setzen auf Abschreckung, sind eigentlich gutmütige Wesen. Dass drei Stiche einen Menschen und sieben ein Pferd umbringen, ist reiner Aberglaube - heute würde man „Fake-News“ dazu sagen. Nur Allergiker sollten sich in Acht nehmen.

 

 

Anfang der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts (mein Güte, wie lange ist das schon her - man wird ja nicht jünger) begann mein Interesse am Tierfilmerdasein und es gab erste Gehversuche mit der Kamera. Drei Themen hatten es mir angetan: natürlich Gewitter - die sind immer noch meine Leidenschaft. Dazu auch die heimischen Amphibien und staatenbildende Wespen.

 

 

Damals war Diana vom Rolfschen Hof mit im Boot, und wir scheuten uns nicht, drauf los zu filmen. Bei den Dreharbeiten zu staatenbildenden Wespen waren natürlich auch Hornissen ein dabei. Wir hatten einen Tipp bekommen. In einem Hochstand sollten sie wohnen. Zum Glück war er nicht besonders hoch.

Fenster und Türen waren allerdings von innen verriegelt, und sämtliche Ritzen hatten die Insekten mit ihrem Papier hermetisch geschlossen. Um die schönen Brummtöne einzufangen, hängten wir erst mal ein kleines Mikrofon dort auf, wo die großen Wespen ein Loch gelassen hatten, um ins Innere zu gelangen. Das fanden sie nicht besonders witzig. Zum Glück richtete sich ihr Zorn nur auf das Mikro, es wurde mit Bissen und Stichen traktiert. Das produzierte aber auch tolle Geräusche.

 

Es dauerte Stunden, bis wir vorsichtig eine Fensterklappe aufgehebelt hatten. Dabei mussten wir uns wie in Zeitlupe bewegen - um nicht den Ärger der Insekten auf uns zu ziehen. Dann endlich sahen wir das Nest: Etwa medizinballgroß und nach unten hin halboffen, also keine geschlossene Kugel. Das ist typisch für Hornissen.

 

 

In späteren Jahren kam ich immer wieder mit Hornissen zusammen. Einmal hatten sie sich wohnlich in einer Baumhöhle auf einer Halbinsel eines Sees eingerichtet. Das war einfach zu malerisch um nicht Aufnahmen zu machen. Dazu musste ein starker Strahler auf die Insekten gerichtet werden, um sie ins rechte Licht zu rücken. Zusammen mit meiner Kollegin Sarah Herbort hatte ich die Kamera auf einen fünf Meter langen Schwenkarm montiert, einen Kamerakran. Der Aufbau eines solchen ist schon eine Wissenschaft für sich. Es dauert seine Zeit. Die Hornissen tolerierten die Aufbauarbeiten großzügig.

 

Als die Aufnahmen im Kasten waren, konnten wir mit vereinten Kräften den Kran ein wenig wegrücken und dann abbauen. Doch den Strahler hatten die Tiere inzwischen lieb gewonnen. So, dass sie ihn umschwirrten und wir nicht heran kamen. Weil die Hornissen ein Zufallsfund waren, hatten wir natürlich auch keine Imkerverkleidung eingepackt. Wir beschlossen, sich die Tiere erst einmal beruhigen zu lassen, und einen kleinen Imbiss zu uns zu nehmen. Ein paar Kilometer weiter sollte die beste Pommesschmiede der Gegend sein. Gesättigt und gestärkt besuchten wir eine Stunde später die Hornissen. Die Batterie des Strahlers hatte inzwischen aufgegeben, die Hornissen nicht. Sie belagerten den Luftraum um das Gerät regelrecht. Uns blieb es nur übrig, 40 Kilometer nach Hause zu fahren, den Schutzanzug einzupacken und dann wieder 40 Kilometer zu unseren fliegenden Freunde zu reisen.

 

Vermeintlich stichsicher vermummt rettete ich den okkupierten Strahler. Eine Hornisse wollte aber nicht aufgeben und stach mich noch durch den Anzug - hinterlistig auf meinem Rücken sitzend, bis Sarah einschritt. Aber ich habe es ihr nicht krumm genommen, der Hornisse, meine ich. Wir hatte schöne Bilder im Kasten...

 


Rettungsaktion für junge Uhu’s oder eine Uhufreundschaft

Das Telefon klingelte. Ein befreundeter Förster ist dran. „Ich habe da eine Uhubrut am Boden, interessiert Dich das?“ lautete die Frage. Klar. Natürlich. Und so stand ich einen Tag später vor dem Nest. Eigentlich war es nur eine Kuhle im Boden. Die macht das Männchen und erwirbt sich so die Gunst seines Weibchens. 

 

Da lagen drei Pflaumbällchen und eine Ratte. Mama hatte bei unserer Annäherung das Weite gesucht, wie es bei Uhus üblich ist. Solche Annäherungen wollte ich in Zukunft vermeiden. Deswegen wurde eine per Funk Kamera gesteuerte aufgestellt. Naturfilmen geht nicht einfacher: Man sitzt gemütlich an einem entfernten Platz, sieht auf einem Monitor, was vor der Kamera passiert und steuert entsprechend die Aufnahme. Und weil kein Mensch in der Nähe ist, zeigen selbst scheueste Tiere authentisches Verhalten. 

 

Man stört einmal, wenn das Gerät aufgestellt wird, und dann nicht wieder. 

 

Für diesen Einsatz hatte ich in Nachtarbeit noch schnell eine zusätzliche Steuerung konstruiert, die es ermöglichte, Nachts eine kleine Beleuchtung in Aktion zu setzen. Nicht damit die Uhujungen mal ein Buch lesen können. Vielmehr hocken sie tagsüber meist einfach so rum. Die interessanten Aktionen passieren nachts. Wenn ein Elternteil Verpflegung bringt. Ratten zum Beispiel. 

 

So saß ich also fast jeden Abend dort in der Nähe. Mama Uhu saß die ersten Abende noch bei den Kleinen, der Papa brachte Ratten und Krähen. 

 

Dann kam die Zeit, in der die Eltern nur noch zum Füttern erschienen. Die Jungen waren groß genug. Gelesen haben sie trotz meines Lichtes dann immer noch nicht, aber ich vertrieb mir die Wartezeit bis etwas passierte, mit einem Buch. 

 

Dann kam auf einmal ein Partner nicht mehr. Nur noch ein etwas kleineres Alttier bemühte sich, die Versorgung der Jungen sicher zu stellen. Kurze Zeit später entdecke ich in der Nähe ein Elternteil - es war verendet. Man konnte keine äußeren Verletzungen erkennen, allerdings war es seltsam verkrampft. Zur gleichen Zeit hatte jemand in einem Park in der Nähe vergiftete Hundeköder ausgelegt - der Schluss lag nahe, dass sich das Alttier daran vergiftet hatte. 

 

In den folgenden Tagen ging es dem kleinsten Küken immer schlechter. Das Nesthäkchen bekam einfach nicht genug ab. „Bei mir stirbt kein junger Uhu“, sagte der Förster. Dann ließ er sich Eintagsküken kommen - denn die jungen Uhus sind nun einmal keine Vegetarier. Die drückte er mir in die Hand. 

 

Denn so eine Unterstützungsfütterung ist sehr schwierig - es darf nur so viel gereicht werden, dass die Jungen noch genug bettelten. So wird das Alttier aufgefordert, sich auf den Weg zu machen und für Nahrung zu sorgen.

 

Der übrig gebliebene Uhu gab alles. Er war so engagiert, dass ich kurz dachte, es sein das Weibchen. Doch in Wirklichkeit war es der Uhupapa. Der kapierte auch recht schnell, dass dieser Typ, der immer da auf dem Waldweg im Auto sitzt, hin und wieder was Leckeres dabei hat und eigentlich ganz harmlos ist. 

 

Es entwickelte sich eine regelrechte Freundschaft. Und eines Tages saß Papa Uhu nur 3 Meter über dem Waldweg, den ich immer angefahren kam im Baum und döste vor sich hin. Er döste auch weiter, als ich direkt unter ihm mit dem Geländewagen hielt. Und er machte die Augen auch nicht auf, als ich vor laufender Kamera noch mal angefahren kam. 

 

Dieses Vertrauen war ein tolles Gefühl. Die Jungen waren inzwischen über den Berg, bekamen ab und zu noch mal vom Papa einen Bissen gebracht. 

 

Und wenn ich dann dort durch den Wald ging, kam es oft vor, das auf einmal Papa Uhu in der Nähe war. Wenn ich mit Kamera unterwegs war, kam er sogar auf drei Meter heran - undenkbar für andere Uhus, die schon bei 30 Metern abhauen. Allerdings wenn ich ohne Kamera war, dann war er deutlich scheuer. Er war es einfach gewöhnt, dass ich so ein Gerät mir mir herum schleppte. 

 

Im Winter dann balzte er wir wild, eine sehr scheue Dame fand sich ein im Revier. Doch erst zwei Jahre später gab es Nachwuchs bei meinem Uhufreund. 

 


Die gestohlene Maus

(C). R. Jähne: Uhu im Anflug
(C). R. Jähne: Uhu im Anflug

Uhus fand ich als Naturfilmer immer schon faszinierend. Nicht nur, dass es unsere größte heimische Eule ist, mit beachtlichen 180 Zentimetern Spannweite. Wer diesem Tier in die meist rötlich-orangen, manchmal auch gelblichen Augen schaut, kann sich ihrer Faszination einfach nicht entziehen. Mir ging es jedenfalls so. 

 

Es waren noch die Zeiten, in denen Filmer schon digital ihre Sequenzen aufnahmen, allerdings noch auf eine kleine Kassette, in der ein Magnetbad lief. Filmisch tastete ich mich damals so langsam an das Thema „Uhu“ heran. Ich wusste, wo eine Uhufamilie lebte. Es gab drei Jungen, die waren schon tüchtig groß und flogen von Ast zu Ast. Wenn Papa und Mama Uhu ihnen das Abendbrot brachten, das waren meist Igel und Krähen, denn wurde es ihnen nicht mehr in schnabelgerechten Bissen serviert. Vielmehr legten die Eltern das Futter auf einem am Boden liegenden Baumstamm ab und die Jungen mussten zusehen, wie sie die Beute zu sich nahmen. 

 

Solche Orte werden auch als „Futtertisch“ bezeichnet. Und ich hatte diesem Baum entdeckt. Das wollte ich mir zu Nutze machen. Mein Plan: Ich lege denen Futter hin, stelle rundherum Kameras auf und kann mit ein bischen Glück filmen, wie so ein Jungtier ankommt und sich das Futter holt.

Mein Kater hatte zu diesem Zweck freundlicherweise eine Maus gespendet, die hatte ich in der Hosentasche. Mit Maus, aber auch mit drei Kameras, entsprechenden Stativen, Kabels zum Auslösen der Kameras, einem Tarnzelt, Batterien und allem, was man eben so braucht, quälte ich mich durch den Wald. 

 

In einem kleinen, verstecken, idyllischen Talkessel lag der Baum, der als Futtertisch diente. Ich begann meine Technik aufzubauen, die Kabel zum Tarnversteck in einem nahen Gebüsch zu verlegen. Und ich hatte Zuschauer. Rundherum saßen die drei Junguhus und verfolgten mit großen Augen, was der Knilch da so treibt.

Alles aufzubauen dauerte etwa 20 Minuten - eine Geduldsprobe für die jungen Eulen. Sie schauten regelrecht hungrig, bildete ich mir ein. Und deswegen beschloss ich, nachdem ich die Maus auf dem Baumstamm gelegt hatte, schon mal die Kameras laufen zu lassen. Wer weiß, vielleicht kam ja ein Junges auf die Idee, sich den Braten schon zu holen, während ich es mir noch im Tarnversteck gemütlich machte.

Ich zog also die Maus aus der Hosentasche. Plötzlich streifte mich von hinten ein Flügel, jemand riss mir die Maus aus der Hand und weg war sie. Man muss wissen, dass Uhus wie die anderen Eulen völlig geräuschlos fliegen können. Das kommt durch ein regelrechtes Fell auf ihren Federn. Die fühlen sich ganz weich an. Und die Luft verwirbelt so in ihnen, dass es nicht zu Fluggeräuschen wie bei anderen Vögeln kommt. 

 

Ein paar Meter weiter saß ein zufriedener Junguhu im Baum und ich sah gerade noch den Mäuseschwanz im Schnabel verschwinden. Unverrichteter Dinge musste ich alles wieder abbauen, und mich wie ein Packesel auf den Rückweg machen. Aber ich hatte gelernt. Also immer erst die Kameras laufen lassen, dann die Maus hinlegen. Das hat später dann gut funktioniert.


Der freche Siebenschläfer

(C) R. Jähne
(C) R. Jähne

"Siebenschläfer gehören zu den Bilchen. Wer es nicht weiß, verwechselt ihn schnell mal mit einer Maus - allerdings ist der Schwanz des Siebenschläfers eher buschig behaart und nicht binfadenartig wie bei einer Maus.

Siebenschläfer zu filmen ist nicht einfach - und deswegen war ich dankbar, als ich zwei Jungtiere bekam. Sie mussten noch ein wenig aufgepäppelt werden. Ich hoffte aber, dass sie ihr Futter später dann vor der Kamera abarbeiten würden. 

 

Sie lebten in einem stabilen Holzkasten, dessen Wände 15mm dick waren. Angeschlossen war ein Nistkasten, der als gute Stube diente. Die beiden Kleinen wuchsen schnell und durch die Luken in dem Kasten konnte ich filmen, wie sie Äpfel oder Zwetschgen aßen. Es war unglaublich, wie schnell so ein Apfel zerkleinert und im Siebenschläfer drin ist. Dann war noch Winterruhe angesagt. Einer ging auch brav im Nistkasten schlafen. 

 

Der andere hatte aber etwas anderes vor: Er knabberte sich, als ich mal nicht zu Hause war, durch die Wand seiner Kiste. Das können Siebenschläfer. Und wenn es sein muss, dann knabbern sie sich auch durch Putz. Durch das entstandene Loch spazierte der Bilch heraus und entdeckte ein Terrarium, in dem Eurasische Zwergmäuse lebten. Allerdings nur zwei. Der Siebenschläfer sprang aus dem Stand (man sah es an seinen Fußabdrücken in einer Schale voller Sand) auf das fast 130 Zentimeter hohe Terrarium, drang durch ein Belüftungsloch ein. Das Loch sollte Luft reinlassen, aber die Mäuse nicht heraus. Das funktionierte auch. Ein Eindringen von Bilchen war allerdings nicht vorgesehen. Der Schlingel verschaffte sich also Zutritt, fraß die Zwergmäuse auf und so gesättigt begab er sich in einem Lock in den Winterschlaf. 

 

Und es vergingen fast genau sieben Monate, dann kam er heraus, wie sein Kollege auch. Sie wurden dann vor der Kamera auf freien Fuß gesetzt, nicht ohne ihnen eine gute Wegzehrung mitgegeben zu haben. Die bestand allerdings dann nicht mehr aus Zwergmäusen, sondern aus Nüssen  und Früchten. "